„Kontrolle kann Vertrauen nicht ersetzen“

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Die Corona-Pandemie hat die Welt nachhaltig verändert. Während das Vertrauen in den Staat und in die Solidarität der Gemeinschaft erodiert, wächst vor allem in Demokratien die Sehnsucht nach einer strengen Führung. Dieses Phänomen stand nun im Mittelpunkt des ersten -Alumni-Fachtreffens der Sozialwissenschaften. In einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion haben die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, , die Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, , der Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, sowie der Politikwissenschaftler nun darüber diskutiert, wie resilient die Gesellschaft in der Krise ist, wie tragfähig und wie konstruktiv. Gleichzeitig haben sie nach Perspektiven gesucht, um am Ende gestärkt aus der gegenwärtigen Situation hervorgehen zu können. Ob dies allerdings gelingt, ist unklar. Denn dafür muss sich vieles ändern, und zwar beim Volk ebenso wie in der Politik.

„Wir brauchen Räume des Zusammentreffens“

Sowohl einzelnen Volksvertreterinnen und Volksvertretern als auch Institutionen und natürlich den Mitmenschen in ihrer Gesamtheit gegenüber ist der Vertrauensverlust in den vergangenen Monaten und Jahren kontinuierlich gewachsen. „Vertrauen ist eine solide Hypothese über das wahrscheinliche Verhalten von anderen“, zitierte Jutta Allmendinger den Philosophen und Soziologen Georg Simmel. Dies könne aber nur dann geschehen, wenn man Kenntnis über jene andere habe, führt sie aus. Und genau das sei das Problem. Das zunehmende Leben in sozialen und digitalen Blasen verhindere ein Verständnis für alle, die nicht in das eigene Weltbild passen. Wer nicht ins Bild passt, der bleibt abseits und damit fremd, ein vermeintlicher Störfaktor am Rande der Peripherie. „Wir brauchen Räume des Zusammentreffens und des Auseinandersetzens, etwa bei der Durchmischung von Wohngebieten“, forderte Allmendinger, die sich zugleich für ein verpflichtendes Soziales Jahr aussprach.

ERSTES Fachtreffen für DAAD-ALUMNI aus den SOZIALWISSENSCHAFTEN COVID19–Resilienz einer Gesellschaft

ERSTES Fachtreffen für DAAD-ALUMNI aus den SOZIALWISSENSCHAFTEN COVID19–Resilienz einer Gesellschaft
ERSTES Fachtreffen für DAAD-ALUMNI aus den SOZIALWISSENSCHAFTEN COVID19–Resilienz einer Gesellschaft ©

„Das Wir-Gefühl muss gestärkt werden“

„Eine resiliente demokratische Gesellschaft sollte darauf achten, dass die Diskurskultur aufrechterhalten und fortgeführt und das demokratische Wertesystem an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird so wie Holger Pfaff dies fordert. „Das Wir-Gefühl muss gestärkt werden“, sagte er, während er gleichzeitig eine Krise der kollektiven Führung diagnostizierte.  „An der Übergangsphase zwischen der Bundestagswahl und der Einsetzung der neuen Regierung lässt sich erkennen, dass eine funktionierende kollektive Führung zentral für die Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft gerade in Extremsituationen ist.“

Doch nicht nur das vertikale, sondern auch das horizontale Vertrauen zerbröselt laut Wolfgang Merkel. „Das untere Drittel der Gesellschaft ist längst ausgestiegen“, sagte er, während das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Parlamente als Vertreter des Volkes in den vergangenen 30 Jahren zunehmend zurückging und der Bundestag und die Länderparlamente sich in der Coronakrise teilweise selbst marginalisiert hätten. Und die Wissenschaft, auf die in der Pandemie jeder blickt? „Die versteht zwar die Zukunft und bietet Lösungsvorschläge, kann aber nicht ein Primat gegenüber der Demokratie verlangen“, betonte Merkel. Die Forderungen, die etwa aus medizinischer Sicht erhoben werden, müssten immerhin abgewogen werden mit denen anderer Disziplinen sowie mit Recht und Gesetz. „Eine Politisierung der Wissenschaft ist ebenso wenig wünschenswert wie eine Verwissenschaftlichung der Politik“, fasste es Merkel zusammen.

Ohnehin sei auch die Wissenschaft von einer gewissen Ungleichheit betroffen. „Forschungsagenden werden ausgerichtet an den besser finanzierten Systemen“, erklärte Anna-Katharina Hornidge. „Das wirkt sich aus auf die globale Sprechfähigkeit.“ Erst recht dann, wenn Veröffentlichungen Restriktionen nach sich ziehen. „Südafrika hat die Omikron-Variante entdeckt und öffentlich auf sie hingewiesen, und als Dank wird das Land mit massiven Sanktionen belegt“, kritisierte Hornidge.

Sehnsucht nach starker Führung und klaren Hierarchien

Angesichts einer schon vor Corona äußerst volatilen Situation, in der die Gesellschaft sich bedroht fühlt und mit den unterschiedlichen Positionen aus der Wissenschaft nichts anzufangen weiß, sehnen sich die Menschen nach einer starken Führung und klaren Hierarchien. „In den letzten Jahren haben wir weltweit ein Aus-dem-Boden-Schießen von Generälen beobachten können“, betonte Hornidge – und in der Bewertung dessen ist sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf dem virtuellen Podium einig. „In ihrer Symbolik ist das ein Eingeständnis einer Pleite“, sagte Wolfgang Merkel mit Blick auf die Ernennung von Generalmajor Carsten Breuer als Leiter des Corona-Krisenstabs in Deutschland.

Dem konnte Jutta Allmendinger nur zustimmen. „Wir brauchen Leadership, aber dieser Schritt ist in meinen Augen nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit.“ Gleiches gelte für die Forderung, dass die Bevölkerung sich selbst kontrollieren solle, wie es unter anderem Hamburgs Innensenator Andy Grote formulierte. „Werden wir jetzt zu einem Kontrollstaat mit Überwachungshierarchien?“, fragte Allmendinger. „Es heißt ja immer, Vertrauen sei gut, aber Kontrolle besser. Ich würde hingegen behaupten, dass Kontrolle Vertrauen nie ersetzen kann.“ Es bleibe nur zu hoffen, dass man letzteres wieder lernen könne.

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