Wo brauchen wir mehr Gleichberechtigung?

Eine Gruppe junger Studierender unterschiedlicher Nationalitäten diskutiert in der Bibliothek.
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Fünf Expert:innen, fünf Fragen: Frage 2

Mala Pandurang:

Ich denke, der größte Bedarf für mehr Chancengleichheit herrscht im Bildungsbereich, insbesondere im Hinblick auf die Qualität bezahlbarer Bildung. Ich sage das im Kontext der Hochschulausbildung in Indien. Die Regierung entzieht Hochschulen zunehmend Subventionen und Fördergelder. Dadurch wurde Bildung stärker privatisiert, was zu wachsenden Klassenunterschieden unter Studierenden geführt hat. Diejenigen, die sich die Gebühren leisten können, genießen hinsichtlich Lehrqualität und Infrastruktur die beste Ausbildung. Familien mögen Probleme haben, die finanzielle Unterstützung zu organisieren, aber der Sohn hat auf jeden Fall Vorrang. Wenn das Geld nicht reicht, um zwei Kindern dieselbe Ausbildung zu ermöglichen, muss die Tochter abbrechen oder eine kostengünstigere Option wählen, die meist nicht in ihrem Sinne ist. Kürzlich hat ein Vater uns gebeten, die Gebühren für seine Tochter zu stunden, da er sein ganzes Geld in die Ingenieurausbildung seines Sohnes investiert hatte. Wenn wir bei sozialer Gleichheit Fortschritte machen wollen, müssen wir Frauen den Zugang zu hochwertiger Bildung erleichtern und Hindernisse in der Ausbildung von Frauen angehen, wobei diese nicht immer nur finanzieller, sondern vielmehr soziokultureller Natur sein können.

Juan Auz:

Während die Demokratie weltweit an Boden gewinnt, wird es zunehmend wichtig, dass jedes Land mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zusammenarbeitet. Dieses Phänomen beinhaltet viele Herausforderungen für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, vor allem im Kontext der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Entwicklungsländern.

Seit Jahrzehnten beuten Staaten oder private Unternehmen die natürlichen Ressourcen des globalen Südens ohne angemessene Beteiligungsmechanismen aus, was zu enormer Ungerechtigkeit und Ungleichheit geführt hat. Doch es entstehen neue Standards, die Methoden für öffentliche Beteiligung, Informationstransparenz und Zugang zur Justiz integrieren, welche bei korrekter Umsetzung eine entscheidende Rolle dabei spielen könnten, die ansonsten uneingeschränkte und missbräuchliche Macht zu begrenzen, die traditionell die des lokalen Gemeinwesens übertrifft.

In einer Welt, die zur Sicherung ihrer erneuerbaren Zukunft mehr Mineralien braucht, ist Beteiligung der Hebel, um denjenigen, die von Rohstoffgewinnungsmaßnahmen betroffen sind, mehr Chancen und Gleichberechtigung zu gewähren.

Eeva Rantamo:

Die Existenzsicherung und der Schutz vor Diskriminierung für jedermann sind zu jeder Zeit Arbeitsgrundlage.

Den Zugang zu Bildung und Kultur und die damit verbundene gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe halte ich für zentrale Themen.

Ich unterstütze Kultureinrichtungen darin, sich inklusiv zu entwickeln und mit ihren besonderen Möglichkeiten eine Vielzahl von Gästen anzusprechen.Gegenwärtig sehe ich großen Bedarf, eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen den Einrichtungen und ihren derzeitigen und potenziellen Gästen oder Kundinnen und Kunden zu entwickeln und zu unterstützen.

Für alle publikumsnahen Arbeitsbereiche (Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellung, Information und Service) ist es sinnvoll, Sprachkonzepte zu entwickeln, die auf eine grundsätzlich leichte Verständlichkeit abzielen.

Dazu gibt es vielfältige Ideen und Formen (z. B. Einfache Sprache, Einsatz von Gebärdensprache u. v. m.). Sie alle schaffen neue Möglichkeiten, zu informieren, Gespräche zu fördern und Menschen zu gewinnen.

Elena Lipilina:

Ich denke, dass ohne ein ausgewogenes Sozialsystem, das empfänglich und dienlich für die Bedürfnisse von Frauen ist, keine Fortschritte erzielt werden können. Und um ein solches System aufzubauen, brauchen wir zwei Dinge: Erstens muss die Geschlechterkluft („Gender Data Gap“) geschlossen werden, denn die weltweit gesammelten Daten beziehen sich hauptsächlich auf die Perspektive des Mannes. Zweitens müssen mehr Frauen an Entscheidungsfindungsprozessen beteiligt werden.

Da Frauen größtenteils unsichtbar bleiben, ist es besonders wichtig, dass mehr positive Beispiele von Frauen sichtbar werden, die den Weg bereiten und den Grundstein für geschlechtersensiblere Strategien legen. Ich persönlich sehe die Rolle von Breitensport als eine der Plattformen, die Frauen motivieren kann, solche Anführerinnen und Wegbereiterinnen zu werden, denn er besitzt das außerordentliche Potenzial, den Charakter zu entwickeln, Verbindungen herzustellen, weibliche Solidarität auszubilden und Frauen zu Ehrgeiz zu inspirieren.

Marco Tulio Pereira Silva:

Trotz einiger Fortschritte, die es in den letzten Jahrzehnten in der ganzen Welt gegeben hat, denke ich, dass der größte Bedarf für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung noch immer in Entwicklungsländern und weniger entwickelten Ländern liegt, insbesondere den BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, wo Bevölkerungszahlen und soziale Ungleichheit hoch sind.

Obwohl Ungleichheit bei Diversität immer präsent ist, habe ich heute den Eindruck, dass Gleichberechtigung in puncto Geschlecht, Ethnie und sexueller Orientierung vor mehr Herausforderungen steht und besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Der Aufstieg konservativer Gruppen in vielen dieser Länder, ebenso wie in entwickelten Ländern, geht mit potenziellen Rückschlägen für das Erreichen von Gleichberechtigung einher. Hass und Unterdrückung werden jetzt bestätigt oder zumindest nicht von solchen Anführern und Gruppen bekämpft.

Als jemand, der zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen forscht, habe ich natürlich auch festgestellt, dass diese Gruppe bei Gleichberechtigung und Chancengleichheit immer noch ganz weit hinten liegt. Die Herausforderung bezieht sich hier jedoch mehr auf die Chancen, vor allem was Bildung und Arbeit anbelangt.

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