Mutter, Tochter – und ein Faible für die Chemie der Heilpflanzen

Tochter Fernanda Lins Brandão Mügge und ihre Mutter Maria Graças Lins Brandão
Familienbande: Fernanda Lins Brandão Mügge zusammen mit ihrer Mutter Maria Graças Lins Brandão. © privat

Vor mehr als 30 Jahren kam die Pharmazeutin und Chemikerin Maria Graças Lins Brandão mit einem DAAD-Promotionsstipendium aus dem brasilianischen Belo Horizonte nach Deutschland – um die Chemie der Heilpflanzen zu erforschen. Eine Faszination, die sie an ihre Tochter weitergegeben hat: Fernanda Lins Brandão Mügge forscht aktuell als Zellbiologin mit einem an der Universität Heidelberg. PRIME steht für „Postdoctoral Researchers International Mobility Experience“ und verknüpft 12-monatige Forschungsaufenthalte im Ausland mit sechs Monaten an einer deutschen Hochschule. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über Wissenschaft, die Bewahrung von traditionellem Wissen – und den Mauerfall in Deutschland. 

Frau Lins Brandão, im Jahr 1987 kamen Sie für Ihre Promotion mit einem DAAD-Stipendium nach Deutschland. Wie kam es dazu?

Maria Graças Lins Brandão: Wer in den 1980er-Jahren in Heilpflanzenchemie promovieren wollte, musste nach Deutschland blicken, dort forschten eine Reihe weltbekannter Professorinnen und Professoren. Insofern war es für mich ein großes Glück, zunächst nach Hannover und dann auch noch nach München gehen zu können. Und auch wenn vieles noch anders war als heute: der DAAD hatte schon damals eine sehr aktive Stipendiaten-Community in Deutschland, mit der ich viel unternommen habe. So habe ich bei Exkursionen beispielsweise noch die damalige DDR kennengelernt; Leipzig, Ost-Berlin. Als die Mauer fiel, war ich in Hannover, es dauerte nur wenige Stunden, bis die ersten Trabis in die Stadt gefahren kamen. Ein historischer Moment – von dem ich meiner Familie in Brasilien erst einmal nur in Briefen erzählen konnte. Telefonieren war sehr teuer.

Fernanda Lins Brandão Mügge: Ich wurde im Mai 1989 in Hannover geboren, habe also keine Erinnerung an den Mauerfall. Schon ein knappes Jahr später zogen meine Eltern nach Brasilien. In den 1990er-Jahren wurde meine Mutter Professorin an der Universidade Federal de Minas Gerais in Belo Horizonte in Brasilien. Schon als Kind verbrachte ich Zeit im Labor, ich spielte sozusagen mit Reagenzgläsern.

Ich fand das schon früh spannend, auch weil meine Mutter zu einer Pionierin der Erforschung der brasilianischen Pflanzenwelt wurde. Unter anderem hat sie eine Datenbank zum traditionellen Wissen über brasilianische Heilpflanzen erstellt. Viele Informationen wurden im frühen 19. Jahrhundert von europäischen Naturforschern aufgezeichnet, von Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Philipp von Martius zum Beispiel. Auf Europareisen zu Sammlungen dieser Forscher war ich früh dabei. So wurde ich immer mehr an das Thema herangeführt.

Schließlich studierten Sie an der Universität Ihrer Mutter Pharmazie, promovierten in Zellbiologie  – und forschen heute ebenfalls als DAAD-Stipendiatin in Deutschland.  

Fernanda Lins Brandão Mügge: Ja, das hat allerdings auch mit meiner doppelten Staatsbürgerschaft zu tun: Mein Vater war Deutscher; ich war oft in den Ferien bei Verwandten in Norddeutschland, habe ein Semester hier studiert. Ich wollte schon lange umziehen und langfristig hier forschen. Und: Das ist international ausgelegt, den größeren Teil habe ich in Maryland in den USA verbracht, nach Deutschland bin ich erst im August 2020 gekommen...

Maria Graças Lins Brandão: ...mitten in der Pandemie. In den USA habe ich Fernanda zu Weihnachten 2019 noch besucht. Doch die Covid-Lage in Brasilien ist inzwischen so furchtbar, dass ich mich aufs Land zurückgezogen habe und erst einmal nirgendwo hinreise. Zum Glück bieten sich uns viele Möglichkeiten der wissenschaftlichen Kooperation.

Wie sehen diese aus? 

Maria Graças Lins Brandão: Ich sitze hier quasi an der Quelle wertvoller Pflanzenarten, die es noch zu untersuchen gilt. Das traditionelle Wissen ist sehr verstreut; zugleich gehen immer mehr natürliche Flächen und damit wichtige Ökosysteme verloren. Die brasilianische Regierung holzt vor allem in der Nähe des Amazonas in enormer Geschwindigkeit Wald ab, um der Wirtschaft Flächen für den Export landwirtschaftlicher Produkte wie Sojabohnen und Fleisch zur Verfügung zu stellen. Damit gehen wichtige Pflanzenarten und lokales Wissen zugleich verloren.

Und in Brasilien gibt es keine Forschungslabore, um die Pflanzen zu untersuchen?

Fernanda Lins Brandão Mügge: Die Wissenschaft in Brasilien befindet sich in einem unvorstellbarem Niedergang. Es gibt Universitäten, die ihre Wasser- und Stromrechnungen nicht bezahlen können –angesichts dessen können Sie sich ja vorstellen, wie es in den Laboren ausschaut. Immer mehr Wissenschaftler verlassen das Land. Der Plan ist, dass meine Mutter mir Material schickt, das ich hier in Deutschland auf seine Bioaktivität untersuche. Ich werde mich nach Ablauf meines Stipendiums in Deutschland in Zellbiologie zu brasilianischen Heilpflanzen habilitieren; im Mai 2021 trete ich dazu eine Stelle der Justus-Liebig-Universität Gießen an. Und danach: bin ich idealerweise Professorin, mit einem eigenen Labor.

Frau Lins Brandão, hätten Sie nicht auch Lust, noch einmal nach Europa zu ziehen?

Maria Graças Lins Brandão: Nein, irgendwer muss sich ja um die Dinge hier vor Ort kümmern. Die Sicherung traditionellen Wissens bleibt eine ebenso große Herausforderung wie seine Weitergabe an künftige Generationen. Auch die Schulen könnten dabei eine weit größere Rolle spielen. In jüngster Zeit habe ich Materialien erstellt, mit denen Lehrkräfte in ihrem naturwissenschaftlichen Unterricht arbeiten können. Idealerweise gelingt es ihnen, Schüler so zu begeistern, dass eine Brücke zur Wissenschaft geschlagen wird – und sich künftig mehr brasilianische Studierende der Erforschung von Heilpflanzen widmen.

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Weiterführende Informationen

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Kommentare

  • Gulnar Yegemberdiyeva

    31.10.2022

    Hallo alle zusammen!

    Ich heiße Gulnar Yegemberdiyeva aus Kasachstan und ich arbeite an der Technologischen Universität Almaty, unterrichte Deutsch. Ich lese gerne Interwievs. Das Thema Heilpflanzen finde ich sehr interessant. Es ist kein Geheimnis, dass sich heutzutage immer mehr Menschen mit Heilpflanzen heilen lassen, weil Medikamente viele Nebenwirkungen haben. Außerdem sind sie teurer als Heilpflanzen.

    Vor kurzem habe ich über "Schwarzen Honig" gelesen. Der Leiter des Unternehmens Gennady Koshelev erzählt, dass es in der Region Nowgorod einen einzigartigen Reliktsee gibt, an dessen Grund Sapropel abgebaut werden kann – mineral- und organische Verbindungen, die durch menschliche Eingriffe unberührt sind, die sowohl für den Menschen als auch für die Flora sehr vorteilhaft sind.

    Das ist keine Werbung. Ich hoffe, dass die Untersuchungen der Heilpflanzen mehr kranken Menschen helfen könnten. Nicht nur brasilianische Studierende der Erforschung von Heilpflanzen widmen werden, sondern Studierende weltweit.

    Hochachtungsvoll
    Gulnar Yegemberdiyeva
    Technologische Universität Almaty, Kasachstan

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