Navigationsbereich

Innovationsland Deutschland

Concentrated black female engineer writing code on drone control
© Getty Images/gorodenkoff

Deutschlands Innovationskraft steht vor neuen Herausforderungen: Trotz Rekordinvestitionen in Forschung und Entwicklung bremsen Bürokratie und Kapitalmangel das Wachstum. Was macht den Standort dennoch zukunftsfähig – und wo liegen die größten Chancen und Risiken?

Deutschlands Wirtschaft forscht und entwickelt so viel wie nie zuvor: 129,7 Milliarden Euro investierten Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen laut einer aktuellen Mitteilung des Statistischen Bundesamts im Jahr 2023 in neue Ideen – ein Plus von 7 Prozent gegenüber 2022. Getragen wird der Schub vor allem von der Industrie, die mit 88,7 Milliarden Euro erneut den Löwenanteil stemmte. Damit behauptet Deutschland nicht nur seinen vorderen Platz in der Innovationsliga Europas, sondern übertrifft auch zum sechsten Mal in Folge das EU-Ziel, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu stecken. Doch wie nachhaltig ist dieser Trend, und wo entstehen die wichtigsten Impulse für die Zukunftsfähigkeit des Standorts?

Auf den ersten Blick scheint sich Deutschland um die Zukunft von Industrie und Wirtschaft keine Sorgen machen zu müssen: Auch beim , den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Unternehmensberatung Roland Berger, das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI und das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung veröffentlicht haben, liegt die Bundesrepublik im Vergleich mit 35 Volkswirtschaften auf einem soliden 12. Platz. Doch vor vier Jahren reichte es noch für Platz 4. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Breite statt Spitze: Deutschlands Stärken und Schwächen im Innovationsvergleich

Zunächst lohnt sich ein genauerer Blick auf die Ergebnisse des Innovationsindikators – sie bedürfen einer differenzierten Einordnung. „Wir haben vor zwei Jahren einen Methodenwechsel vorgenommen, indem wir bestimmte softe Indikatoren aus dem Innovationsindikator gestrichen und uns mehr auf die harten Fakten konzentriert haben“, erläutert Dr. Rainer Frietsch, Leiter der . „Zusätzlich haben wir mit den Schlüsseltechnologien und der Nachhaltigkeit zwei neue Säulen in die Auswertung einbezogen. Unter dieser Prämisse wäre Deutschland 2020 auf Rang 10 gekommen.“ Was nicht unbedingt ein Rückschritt sei. Deutschland habe vielmehr den gleichen Indexwert wie schon seit Jahren, nur seien andere Länder schlichtweg dynamischer und hätten die Bundesrepublik überholt. Dabei handele es sich um Staaten wie Dänemark, die Schweiz oder Singapur, die ihre Ressourcen anders bündeln und sich zum Beispiel nur auf bestimmte Technologien konzentrierten, in denen sie sehr innovativ seien. „Deutschland ist dagegen in der Breite gut, aber nirgendwo überragend. Immerhin sind wir unter den großen Volkswirtschaften derzeit noch vorne“, so Frietsch.

Gleichzeitig betonen Expertinnen und Experten, dass dieses Ergebnis eine solide Grundlage für weiteres Innovationspotenzial bietet – sofern die richtigen Weichen gestellt werden. Deutschland, so Experte Frietsch, müsse dringend innovationseffizienter werden. Vor allem die Bürokratie mit all ihren Auswüchsen bremse sowohl Forschung als auch Wirtschaft oftmals aus.

Startup-Szene wächst trotz schwieriger Rahmenbedingungen

Dennoch verfügt Deutschland grundsätzlich über eine gute Ausgangslage, um seine Innovationskraft weiter zu steigern. „Wir haben eine starke Forschungsbasis, exzellente Hochschulen und eine leistungsfähige industrielle Infrastruktur“, so Peggy Zimmermann, Geschäftsführerin des . „Diese Grundlagen spiegeln sich auch in der aktuellen Entwicklung der Startup-Szene wider: Trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage zeigt sich das Gründungsgeschehen in Deutschland stabil und wachstumsorientiert. Laut dem aktuellen Report des Bundesverbands Deutsche Startups wurden im Jahr 2024 insgesamt 2.766 Startups gegründet – ein Anstieg von elf Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Kapitalmangel und Bürokratie gefährden Wachstum

Um die deutsche Wirtschaft dauerhaft widerstandsfähig gegenüber disruptiven Entwicklungen zu machen, sind weitere Anstrengungen nötig. Besonders vielversprechend wäre es, Gründungen in der entscheidenden Skalierungsphase gezielter zu unterstützen – denn hier entsteht das größte Wachstumspotenzial für Startups. „Bei der Kommerzialisierung fehlt schon seit Jahren das geduldige Kapital, insbesondere im Deep-Tech-Bereich“, erläutert Dr. Carsten Wehmeyer, Referent für Digitalisierung und Innovation beim BDI. Je größer die Investitionssummen und je länger der Weg bis zur Marktreife, desto zurückhaltender agierten viele potenzielle Kapitalgeber. Dem stimmt Peggy Zimmermann zu: „In der frühen Phase profitieren viele Teams von guter Betreuung, Anschubfinanzierung, Zugang zu Laboren oder Co-Working-Spaces.“ Doch sobald diese Programme endeten, fehle es häufig an der Anschlussfinanzierung. „Gleichzeitig ist die Bürokratie ein echter Hemmschuh“, ergänzt sie: „Gründungsprozesse dauern zu lange, viele Verwaltungsleistungen sind nicht digitalisiert und die Beantragung von Fördermitteln ist oft undurchsichtig und ressourcenintensiv.“ Dabei gäbe es gute Ansätze. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung verspricht eine Unternehmensgründung in 24 Stunden durch einen digitalen One-Stop-Shop – das wäre ein echter Fortschritt.

Vor allem aber benötigen Unternehmen Verlässlichkeit und Planungssicherheit. „Wenn Förderprogramme plötzlich gestoppt oder gekürzt werden, verliert die Wirtschaft Vertrauen“, so Zimmermann. Stattdessen drohen die aufstrebenden Entrepreneure abzuwandern. „Schon jetzt ist es nicht unüblich, dass Startups zuerst im Ausland an den Start gehen, weil die Unsicherheit und auch die bürokratischen Hürden in Deutschland so hoch sind“, führt Wehmeyer aus. „Diese fehlende Dynamik ist meines Erachtens derzeit unsere größte Schwäche. Andererseits verfügt Deutschland über hervorragende Universitäten und Unternehmen, die weltweit gefragt sind. Dieses Potenzial müssen wir nutzen.“

Kulturelle Unterschiede prägen Innovationsklima

Bei allen Statistiken und internationalen Vergleichen wird oft übersehen, dass die deutsche Innovationspolitik nicht nur von strukturellen, sondern auch von kulturellen Besonderheiten geprägt ist. „Deutschland setzt traditionell auf einen behutsamen, nachhaltigen Aufbau von Unternehmen, damit sie langfristig solide und verlässliche Partner werden“, sagt Frietsch. In den USA hingegen sei es üblich, Startups innerhalb weniger Jahre mit Gewinn an große Konzerne zu verkaufen – verbunden mit einer deutlich höheren Risikobereitschaft. Auch sind Forschung und Entwicklung in Deutschland oft strikter reguliert als auf den liberaleren Märkten in den USA oder Asien. Ein Beispiel dafür ist der neue , der etwa Social Scoring nach chinesischem Vorbild strikt verbietet oder die biometrische Echtzeit-Identifikation stark einschränkt. „Diese Regeln spiegeln unsere europäischen Werte wider, bremsen aber manchmal Innovationen“, räumt Frietsch ein.

Deshalb wird in Deutschland ausführlich darüber diskutiert, wie viel Regulierung nötig und sinnvoll ist. Dass diese Debatte so intensiv geführt wird, ist jedoch auch ein Zeichen einer lebendigen Innovationskultur: Sie zeigt, dass der gesellschaftliche Fortschritt in Deutschland nicht dem Zufall überlassen wird, sondern verantwortungsvoll gestaltet werden soll.

 
* Pflichtfeld