Wie Gleichstellung im digitalen Raum gelingt
- 2025-05-07
- Ulrike Scheffer
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Das Internet eröffnet Frauen vielfältige Möglichkeiten zu kommunizieren, zu lernen und Einkommen zu erwirtschaften. Doch der Cyberspace ist auch ein Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheiten. Frauen begegnen hier alten und neuen Formen der Diskriminierung und sogar Gewalt. Drei Expertinnen aus Lateinamerika geben Einblick in die komplexe Realität von Frauen im digitalen Raum – und zeigen, wie Gleichstellung im Cyberspace erreicht werden kann.
Marisa Leonor Salinas ist Anwältin in der argentinischen Provinz Mendoza. Sie hat sich auf das Recht im Cyberspace spezialisiert. Ihrer Erfahrung nach werden die Rechte von Frauen im Internet und durch Systeme künstlicher Intelligenz oft schon durch unsichtbare Algorithmen verletzt. „Algorithmen lernen oft aus historischen Daten. Wenn diese Daten auf sozialen Ungleichheiten basieren, besteht die Gefahr, dass der Algorithmus diese Muster übernimmt oder sogar noch verstärkt.“
Unsichtbare Diskriminierung
Als Beispiel nennt Salinas den Versuch von Amazon, ein KI-gestütztes Bewerbungsverfahren einzuführen. Das System war mit Hilfe von Lebensläufen trainiert worden, die dem Unternehmen in einem Zeitraum von zehn Jahren von Bewerberinnen und Bewerbern vorgelegt wurden. Da in der Vergangenheit mehrheitlich Männer eingestellt worden waren, priorisierte das System männliche Bewerber und stufte weibliche Bewerberinnen herab. „Das Projekt wurde wegen seiner geschlechtsspezifischen Voreingenommenheit schließlich aufgegeben“, erklärt Salinas.
Es seien auch Fälle bekannt geworden, bei denen Banken Frauen einen deutlich niedrigeren Kreditrahmen einräumten als Männern, ohne dass dafür ein objektiver Grund vorlag, erklärt die Juristin. Sie plädiert für eine umfassende Regulierung künstlicher Intelligenz und für verpflichtende Algorithmen-Prüfungen, um Diskriminierungen wie diese zu verhindern.
Gewalt gegen Frauen im Internet
Neben unsichtbaren Benachteiligungen erleben Frauen im Cyberspace offene Diskriminierungen und sogar Gewalt. „Frauen werden im Internet überproportional häufig bedroht und mit abfälligen Kommentaren konfrontiert. Auch die Verbreitung privater Inhalte ohne Einwilligung gehört zum Alltag vieler Nutzerinnen“, sagt Lucía Viscuso. Die argentinische Politologin beschäftigt sich mit ethischen Fragen und mit Sicherheitsaspekten des Internets. Der psychische Druck durch solche negativen Erlebnisse könne zu einer Selbstzensur oder zum Rückzug von Frauen von Online-Plattformen führen. Die Folge: Frauen werden zum Schweigen gebracht und der kollektive Gedankenaustausch im öffentlichen Diskurs eingeschränkt.
Soziale Medien verstärken Geschlechterstereotype
Für problematisch hält Viscuso auch, dass Algorithmen sozialer Netzwerke Inhalte verstärken, die traditionelle Geschlechterstereotype befeuern. Besonders junge Mädchen seien betroffen: „So werden beispielsweise durch Werbung für Schönheitsprodukte und kosmetische Eingriffe unrealistische Schönheitsideale verbreitet, die das Selbstwertgefühl und die psychische Gesundheit junger Frauen beeinträchtigen.“
Doch der Cyberspace bietet auch : Aus Sicht von Viscuso können soziale Medien eine transformative Kraft für mehr entfalten: „Feministische Bewegungen wie #metoo haben die sozialen Medien genutzt, um gegen eine systemische Unterdrückung vorzugehen und das Bewusstsein dafür zu schärfen“, erläutert sie.
Chancen durch digitale Geschäftsmodelle
Mit der Digitalisierung haben Frauen zudem . Sie können innovative digitale Geschäftsmodelle entwickeln und sich global Märkte erschließen. Ein Online-Business lässt sich mit wenig Startkapital verwirklichen und gut mit familiären Aufgaben verbinden, denn die Arbeitszeiten und Arbeitsorte sind flexibel.
Diana Miranda, Start-up-Unternehmerin und Professorin an der Universität von Guayaquil in Ecuador, warnt aber vor Gefahren: Phishing-Angriffe, Erpressungsversuche durch Ransomware und gezielte Belästigungen können digitale Unternehmen gefährden. „Von Frauen geführte Internet-Unternehmen sind besonders betroffen, da sie oft über zu wenig Rücklagen verfügen, um sich von einem Cyberangriff zu erholen“, erklärt Diana Miranda.
Cybersicherheit für Online-Unternehmerinnen
Miranda rät Online-Unternehmerinnen, der Cybersicherheit hohe Priorität einzuräumen. Sie sollten nur starke Passwörter verwenden, konsequent auf Zwei-Faktor-Authentifizierung setzen, sichere Zahlungsplattformen nutzen und regelmäßig ihre Systeme aktualisieren. Auch der bewusste Umgang mit sensiblen Informationen und die Teilnahme an Cybersicherheits-Trainings sollten selbstverständlich sein. „Proaktive Schritte tragen dazu bei, Schwachstellen zu minimieren und sowohl persönliche als auch geschäftliche Daten vor Cyber-Bedrohungen zu schützen.“
Auf dem Weg zu einem gerechteren digitalen Raum
Die Erfahrungen der drei Expertinnen machen deutlich: Die digitale Gleichstellung ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Staaten, Unternehmen und Internet-Nutzerinnen und -Nutzer tragen Verantwortung dafür, dass Technologie nicht alte Diskriminierungen reproduziert, sondern neue Freiheiten ermöglicht – ob bei der Entwicklung von Algorithmen, bei der Kommunikation in sozialen Medien oder bei der Cybersicherheit.