Neue Wege in der globalen Gesundheitsversorgung
- 2025-09-09
- Gunda Achterhold
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Prof. Dr. Till Bärnighausen leitet das am Universitätsklinikum Heidelberg. Der Mediziner lehrt in Harvard und am Africa Health Research Institute (AHRI) in Südafrika, . Was die Forschung zur globalen Gesundheit beitragen kann und vor welchen immensen Herausforderungen sie aktuell steht, darüber spricht er im Interview.
Professor Bärnighausen, Sie kommen aus der Allgemeinmedizin: Was brachte Sie dazu, Epidemiologe zu werden und sich auf Themen der globalen Gesundheitsversorgung zu konzentrieren?
Das war eine langsam sich steigernde Begeisterung. Als Facharzt in Allgemeinmedizin ist man sehr nah dran am Gesundheitssystem und an der Gemeinschaft. Als DAAD-Stipendiat hatte ich in den 1990er-Jahren an dem Tongji Medical College der Huazhong Universität in Wuhan eine meiner ersten Studien im Bereich Global Health gemacht – dafür bin ich bis heute dankbar. Es ging um die Gesundheitsversorgung der „informal worker“ in China. Viele Millionen kommen zum Arbeiten vom Land in die Stadt, sind dort aber nicht gemeldet und damit eben auch nicht versichert. Im Rahmen eines internationalen Postdoc-Programms des Bundes und der Länder untersuchten wir, wie sich diese Menschen in städtische Gesundheitssysteme integrieren lassen. Später ist ein Paper daraus entstanden, das viel zitiert wurde.
Warum war diese Studie für Ihren weiteren Weg so prägend?
Die grundlegende Frage, wie sich Gesundheitssysteme verändern und verbessern lassen, beschäftigt mich bis heute. Die Medical University, an der ich damals war, hat eine lange deutsche Tradition. Sie wurde von Professoren der Universität Heidelberg mitbegründet. Aktuell schließt sich da auch auf persönlicher Ebene gerade ein Kreis: Als Fakultätsbeauftragter bin ich neuerdings für die Hochschulkooperation der medizinischen Institute zuständig, meine damalige Mentorin ist Dekanin an der Tongij – wir werden uns also wiedersehen.
Welchen Einfluss haben Forschungsergebnisse auf politische Entscheidungen und damit auch auf die Umsetzung globaler Gesundheitsprogramme?
In der Gesundheitssystemforschung sind wir nah dran an der Politik, ein Drittel unserer Arbeit ist Wissenschaft als Politikberatung. Nationale oder städtische Ministerien, auch transnationale Organisationen, kommen auf uns zu und fragen, ob wir für sie Wissenschaft machen können. In großen randomisierten kontrollierten Studien evaluieren und testen wir neue Gesundheitsinterventions- und Behandlungsprogramme, analysieren Kosten und Nutzen, entwickeln neue Methoden der Bewertung. Dabei denken wir immer auch soziale Faktoren mit. Ein Beispiel: In Tansania haben wir das Gesundheitssystem der Stadt Daressalam analysiert. Der Kostendruck in der Versorgung HIV-Erkrankter war hoch, neue Lösungen wurden angedacht. Wir untersuchten, ob sogenannte Home-Based Carer (HBC) Aufgaben der sehr viel höher bezahlten Krankenschwestern übernehmen könnten – ohne dass die Qualität der Behandlung leidet.
Und?
Es hat geklappt, seit zehn Jahren ist der sehr viel kostengünstigere Community Health Care-Ansatz Nationales Programm. 70 Prozent der Erkrankten entscheiden sich für die Behandlung in der eigenen Wohnung und sind damit sogar noch zufriedener. Gerade jetzt, wo sich globale Player wie die zurückziehen und alle händeringend nach radikal neuen Ansätzen suchen, ist das ein wichtiges Thema. Unsere Forschung, die in Tansania gut läuft, lässt sich auch auf andere Staaten mit ähnlichen Gesundheitssystemen wie Uganda oder Südafrika übertragen.
HIV ist seit 20 Jahren Ihr großes Thema. Aber auch der Klimawandel steht zunehmend im Fokus Ihrer Forschung am HIGH – beispielsweise Maßnahmen gegen Hitzestress in Burkina Faso durch speziell beschichtete Dächer.
Das HIGH ist in den letzten sieben Jahren sehr gewachsen, von 40 auf 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Auf vielen verschiedenen Ebenen stellen wir uns den großen Herausforderungen der Bevölkerungsgesundheit, ein Thema ist der Zusammenhang zwischen . Die technologischen Voraussetzungen sind häufig schon da – wir erforschen, wie sie sich umsetzen lassen, wie sie wirken, was sie leisten und wie ökonomisch ihr Einsatz ist.
Wie wichtig sind da internationale Netzwerke?
Unsere Alumnae sitzen überall in der Welt, in großen Institutionen der globalen Gesundheit. Diese oft sehr vertrauensvollen, über Jahrzehnte gewachsenen Netzwerke mit internationalen Partnern sind ein Wert an sich für unsere Arbeit. Wir haben die Chance, die Welt durch Wissenschaft in einem guten Sinne zu verändern.
Wie arbeiten Sie nach dem finanziellen Kahlschlag weiter?
Mit dem Stopp von USAID wurde die große Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Behandlung von HIV, Tuberkulose, Malaria oder auch die Förderung der Mutter-Kinder-Gesundheit von einem Tag auf den anderen zerstört. Als Wissenschaftler:innen können wir Alternativen und neue Arten der Behandlung aufzeigen, die sich mit deutlich weniger Geld umsetzen lassen. Wie das Beispiel der Home-Based Carer zeigt. Ein weiterer Beitrag ist die Dokumentation des Leidens, eine erste Studie ist bereits abgeschlossen. Wir haben Führungskräfte interviewt, die nun aufgelöste Programme aufgebaut und teils über Jahrzehnte geleitet haben. In einem zweiten Schritt wollen wir die subjektiven Realitäten von Menschen verstehen, die ihre HIV-Medikation nicht mehr bekommen. Wie sich das auswirkt, auf den Zukunftsoptimismus, auf die Planung der eigenen Zukunft, die Zukunft der Kinder. Das ist eine Forschung der Tragik, aber sie kann andere mögliche Geldgeber mobilisieren.
Soziale Entrepreneure sind wichtig, sie sind häufig Vorreiter auf ihrem Gebiet.
Welchen Beitrag können Sozialunternehmen in dieser Situation leisten – werden sie vielleicht sogar wichtiger?
Soziale Unternehmen waren schon immer starke Partner in der globalen Gesundheitsversorgung, wir arbeiten am HIGH sehr eng mit einem ganz hervorragenden Startup in Berlin zusammen. Soziale Entrepreneure sind wichtig, sie sind häufig Vorreiter auf ihrem Gebiet. Deshalb erhoffe ich mir von der neuen Initiative der Europäischen Kommission, die sich jetzt stark dem Thema Entrepreneurship und Wettbewerbsfähigkeit widmet, einen Schub. In Deutschland, so mein Eindruck, nimmt das schon länger zu. Menschen, die überall auf der Welt arbeiten könnten, weil sie so gut sind, bleiben hier, widmen sich sozialen Enterprises und bauen die auf.
Weil es sinnhaft ist?
Ja, ganz genau.