Offenheit und Verantwortung für die Gesellschaft

Vielfältige Gruppe von Geschäftsleuten während eines Meetings im Konferenzraum.
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Eine transparente, dialogorientierte Wissenschaftskommunikation rückt die Forschung näher an die Menschen heran und kann Grundlage kluger Entscheidungen in Politik und Gesellschaft sein. Dr. Alexandra Borissova Saleh setzte sich für den Ausbau der Wissenschaftskommunikation in ihrem Heimatland Russland ein: mit der Nicht-Regierungsorganisation Russian Association of Science and Communication (AKSON) sowie einem neu konzipierten Masterstudiengang in St. Petersburg.

Frau Dr. Borissova Saleh, welchen Stellenwert hat die Wissenschaftskommunikation in Russland?

Dank unserer Arbeit in den vergangenen Jahren haben viele russische Hochschulen und Forschende ein modernes Verständnis von Wissenschaftskommunikation entwickelt. Davor war das Thema in Russland allerdings kaum relevant, im Grunde existierte dort nicht einmal der Begriff der Wissenschaftskommunikation. Forscherinnen und Forscher publizierten ihre Ergebnisse zwar in wissenschaftlichen Journalen, damit erreichten sie jedoch lediglich ein Fachpublikum und nicht die breite Öffentlichkeit. Dabei ist die Kommunikation mit der Gesellschaft wichtig – die meisten Hochschulen finanzieren sich schließlich über Steuergelder. Meiner Ansicht nach muss Wissenschaft transparent sein und dabei auch offene Fragen thematisieren.

Sie unterstützen den Auf- und Ausbau der Wissenschaftskommunikation in Russland. Mit welchen Initiativen fördern sie den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft?

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen habe ich mit verschiedenen Aktivitäten die russische Wissenschaftskommunikation vorangebracht: An der Staatlichen Universität für Informationstechnologien, Mechanik und Optik (ITMO) in Sankt Petersburg ist es uns gelungen, in Russland den ersten Masterstudiengang mit dem Fach Wissenschaftskommunikation zu etablieren und damit eine wichtige Grundlage für die Zukunft zu schaffen. Über 100 Studierende haben mittlerweile diesen Studiengang absolviert und stellen ihre Expertise den Hochschulen und der Gesellschaft zur Verfügung. Bis vor wenigen Monaten konnte ich dort am Institut in Sankt Petersburg unterrichten und Studierende betreuen. Zudem habe ich mich als Gründungsmitglied und ehemalige Präsidentin für die Nichtregierungsorganisation AKSON engagiert, der Russischen Gesellschaft für Wissenschaft und Kommunikation. Infolge des Angriffskrieges gegen die Ukraine und der damit einhergehenden Verschärfungen der russischen Politik mussten wir unsere Arbeit bei AKSON jedoch leider einstellen.

Welchen Mehrwert bot AKSON seinen Mitgliedern? 

AKSON brachte unter anderem Forschende, Wissenschaftsjournalisten, Blogger, Organisatoren von Wissenschaftsveranstaltungen sowie Kuratorinnen und Kuratoren zum gegenseitigen Austausch zusammen und unterstützte sie dabei, professionelle Kommunikationsstrategien zu entwickeln. Dazu haben wir beispielsweise eine jährliche Konferenz veranstaltet und eine Reihe von Workshops abgehalten. Im Laufe der letzten Jahre konnten wir damit eine Gemeinschaft von mehreren Hundert Menschen aufbauen – ein großer Erfolg! Zu unseren Aktivitäten gehörten auch drei Stipendienaufrufe sowie zwei nationale Wettbewerbe, bei denen wir besonders innovative Ideen zur Wissenschaftskommunikation und zum Wissenschaftsjournalismus ausgezeichnet haben. Dabei haben wir den russischen Wissenschaftsjournalismus auf europäischer Ebene sichtbar gemacht, da unser Gewinner des Jahres 2020 später zum europäischen Wissenschaftsjournalisten des Jahres gewählt wurde. Die Idee unserer Auszeichnungen war nicht das Bewerten, sondern das gegenseitige Lernen durch die Identifizierung von Best Practices unter Verwendung eines gemeinschaftlichen, Peer-Review-ähnlichen Ansatzes. Zudem initiierten wir eine Citizen-Science-Plattform, die Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zur Beteiligung an verschiedenen Forschungsprojekten bot: Das Projekt „People of Science“ kam 2021 in die engere Wahl bei einem renommierten . All das haben wir mit nur beschränkter Unterstützung des Staates umgesetzt.

Inwiefern hat Sie Ihr Aufenthalt in Deutschland zur Gründung von AKSON inspiriert?

Da die Wissenschaftskommunikation in Russland zu diesem Zeitpunkt noch nicht als akademischer Bereich existierte, war alles sehr herausfordernd – und die deutschen Erfahrungen zentral. Während meines Aufenthalts an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve habe ich einen wertvollen Einblick bekommen, in das Fach Wissenschaftskommunikation sowie in den Aufbau einer Organisation. Ich hatte die Gelegenheit, mit zahlreichen internationalen Expertinnen und Experten zu sprechen, die später auch die Etablierung des Masterstudiengangs an der ITMO in Sankt Petersburg unterstützt haben. Mit vielen von ihnen stehe ich heute noch in Kontakt. Meine Zeit in Deutschland bildet gleichsam den Grundstein, mit der mein Einsatz für die Wissenschaftskommunikation in Russland erst möglich wurde.

Welchen Einfluss hatte Ihre Arbeit auf die russische Wissenschaftslandschaft und Gesellschaft?

Mehrere wissenschaftliche Studien zeigen: Mit AKSON haben wir die russische Wissenschaft für die Menschen geöffnet, das Interesse an Wissenschaftskommunikation geweckt und damit auch die ganze Gesellschaft nachhaltig – so hoffe ich zumindest – ein wenig verändert.. Forschende haben damit begonnen, zusammen mit neu gegründeten Kommunikationsbüros mit den Massenmedien zu arbeiten – auch international. Das war in gewisser Weise ein Paradigmenwechsel hin zu Offenheit und Verantwortung für die Gesellschaft. Auf der anderen Seite haben wir Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten, die sich in ihrer Rolle von Wissenschaftskommunikatoren unterschieden, eine Stimme gegeben und sie in ihrem Verständnis unterstützt: Ihre Rechte und ihre Pflichten sind es, unabhängig und kritisch zu sein. Ich bedauere sehr, dass wir aufgrund des politischen Drucks diese Erfolgsgeschichte nicht weiter fortsetzen können. Gleichzeitig sehe ich das bisher Erreichte – und für unsere Mitglieder ist es möglich, auch außerhalb von AKSON miteinander Kontakt zu halten. Zudem hoffe ich, dass die Geschichte von AKSON eher als Inspiration denn als Scheitern betrachtet wird: Wenn wir in Russland dazu in der Lage waren, eine Organisation wie AKSON aufzubauen, werden es Menschen in demokratischen Ländern umso leichter schaffen.

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