Von der Wissenschaft in die Wirtschaft

© DAAD/Martin Magunia

Das ungenutzte Potenzial der Promotion

In einem der Sitzungsräume des Wissenschaftszentrums Bonn herrscht eine entspannte, aber auch geschäftige Atmosphäre. Auf verschiedenen Tischen haben 25 Nachwuchsforschende, -Stipendiatinnen und -Stipendiaten ebenso wie DAAD-Alumni gerade ihre Materialien ausgebreitet: Legosteine, Pappen, Strohhalme, aus denen sie nun innerhalb von einer halben Stunde einen Prototypen herstellen sollen, der die Lösung für ein großes (oder kleines) gesellschaftliches Problem sein könnte. Ein Modell also, das die Welt ein Stückchen besser machen soll oder zumindest eine mögliche Richtung aufzeigt. Denn was wie eine harmlose Bastelstunde aussieht, ist ein zentraler Moment im Workshop, der den Teilnehmenden zeigt, wie schnell aus einer Idee oder einer wissenschaftlichen Erkenntnis die Grundzüge eines konkreten Konzepts entstehen – und warum eine nachhaltige Lösung nur im Team entstehen kann.

Der Begriff des Entrepreneurship hat sich in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Bestandteil der Strategie des akademischen Wissenstransfers entwickelt. Forschende sollen dabei ihre fachliche Expertise und die Ergebnisse ihrer Arbeit in ein Produkt einbringen, dieses weiterentwickeln und es letztlich auf den freien Markt bringen. Entsprechende Workshops sollen den Forschenden die dafür nötigen Werkzeuge an die Hand geben. Nun plant der , immerhin die weltweit größte Förderorganisation für den internationalen Austausch von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, diesen Bereich in der eigenen Arbeit zu stärken. In Bonn hat er gewissermaßen einen Testballon steigen lassen und zu einer Veranstaltung aus dem Programm „Young Entrepreneurs in Science“ (YES) der eingeladen. Mit überwältigendem Erfolg.

Enormes Interesse bei Alumni

Es ist das erste Mal, dass der DAAD und die Falling Walls Foundation, die beide für Wissenschaftstransfer und Wissenschaftskommunikation stehen, im Bereich des Entrepreneurships kooperieren. „Wir beteiligen uns schon seit Jahren an den Falling-Walls-Labs, bei denen Studierende und Nachwuchskräfte in Wissenschaft und Praxis ihre Ideen zur Bewältigung der großen Menschheitsprobleme vorstellen können“, erklärt Heidi Wedel, Leiterin des Referats für Alumni beim DAAD. „Wir wollen auch jenen Wege für die Zukunft aufzeigen, die keine Karriere an einer Hochschule anstreben – und unseren Erfahrungen zufolge handelt es sich dabei um rund zwei Drittel unserer Alumni.“ Als daher Falling Walls mit dem Angebot an den DAAD herantrat, einen Workshop zu Unternehmertum durchzuführen, habe man sofort zugesagt.

Das Interesse unter Stipendiatinnen und Stipendiaten und Alumni bewies, dass der Ansatz ins Schwarze getroffen hat: „Normalerweise folgt nach einem YES-Aufruf eine mehrwöchige Bewerbungsphase, bis sich am Ende etwa 30 Interessierte gemeldet haben“, so Wedel. „Bei diesem Termin hatten wir schon nach zwei Tagen mehr als 130 Anmeldungen, sodass wir den Aufruf gestoppt und einen zusätzlichen zweiten digitalen Workshop angeboten haben. Trotzdem konnten wir leider nicht allen eine Zusage machen. Neben dem großen Andrang war auch erfreulich, dass wir Anmeldungen von Forschenden etlicher Nationalitäten und Fachrichtungen bekommen haben.“

„Wir wollen in den Workshops zu einem anderen Denken anregen“

In Bonn sind die Prototypen inzwischen fertiggestellt worden. „Quick and dirty“ sollten sie sein, Rohfassungen, um ein möglichst ehrliches Feedback zu bekommen. Jetzt ist es an den Teams, ihr Produkt einigen Testpersonen vorzustellen und zu eruieren, ob sie auf einer erfolgversprechenden Spur sind oder zurück zur Planungsphase müssen. Alle fünf Gruppen haben sich für eine App entschieden: Eine soll mit speziellen Veranstaltungstipps dafür sorgen, dass man den Winter in Deutschland oder auch die Tour zum Ausländeramt übersteht, eine andere soll niedrigschwellige Hilfsangebote bündeln, eine dritte soll Anreize schaffen, um bei einer Fahrt zwischen zwei Punkten die nachhaltigste Route zu wählen. Die letzten beiden Ideen setzen bei der Müllentsorgung an.

Vorteil Vielfalt: Teilnehmende aus 22 Nationen

Ausgefeilt ist keins dieser Konzepte, aber das war auch nicht das Ziel. „Wir wollen den Teilnehmenden zeigen, wie schnell und leicht sie ihre spezifischen Kenntnisse unternehmerisch umsetzen können“, erklärt Moderatorin Dr. Julia Rummel. „In nahezu jeder Doktorarbeit steckt ein unglaubliches Potenzial, aber viel zu oft bleibt es ungenutzt. Wir wollen in den Workshops zu einem anderen Denken anregen und zu einem anderen Blick auf die eigene Expertise.“ Und was braucht es dafür? „Vor allem Kommunikation, irgendeine Art von Austausch“, so Rummel. „Entrepreneure benötigen eigentlich immer ein Team, um erfolgreich zu sein. Hier in Bonn kann man sehr gut sehen, dass viele ganz unbewusst in gewisse Rollen fallen. Es kristallisiert sich häufig eine oder einer heraus, die oder der die Führung übernimmt und Ideen einbringt, andere agieren als Kritiker, manche gehen eher in die Beobachterposition und wieder andere halten das Team zusammen.“ Dabei sei Vielfalt stets von Vorteil. „Wir haben Teilnehmer aus 22 Nationen, darunter viele Forschende aus anwendungsorientierten Fachrichtungen, aber auch Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Die unterschiedlichen Perspektiven befeuern die Kreativität.“

Spielerisch Visionen entwickeln

Diese Einschätzung unterschreiben die Teilnehmenden des Workshops sofort. Viele zeigen sich begeistert, dass sie spielerisch eine gemeinsame Vision entwickeln und konkretisieren konnten, in einer lockeren Atmosphäre aber dennoch ernsthaft arbeitend. „Für mich war es eine sehr schöne Erfahrung, weil wir so etwas im regulären akademischen Leben nicht haben“, erklärt die Psychologin und Politikwissenschaftlerin Beatriz Besen de Oliveira. „Vor allem die Visualisierung von Ideen im Rahmen von Design Thinking war sehr spannend und könnte auch Einzug in meine Arbeit nehmen.“ Für den Literaturwissenschaftler und Orientalisten Kurstin Gatt ging die Erfahrung noch tiefer: „Dieses Wochenende hat mich dazu gebracht, meine eigenen Fähigkeiten neu zu bewerten und neue Gelegenheiten zu sehen“, erklärt er. „Gleichzeitig habe ich gelernt, wie ich meine Forschung besser der Öffentlichkeit vermitteln kann.“ Ob er denn weiter im universitären Umfeld bleiben will oder sich auf den freien Markt traut? „Das wird sich zeigen“, sagt er lachend.

Wer sich letztlich auf das Wagnis des Entrepreneurship einlässt, will an diesem Nachmittag keiner sagen. Doch zumindest haben einige die Bestätigung erhalten, dass sie es könnten. So wie Hadil Alshurafa, die derzeit an der Universität Heidelberg tätig ist. „Ich bin Chemikerin und liebe das akademische Umfeld“, betont sie, „aber andererseits möchte ich nicht für den Rest meines Lebens ausschließlich in einem Labor sitzen. Jetzt habe ich ein paar Techniken gelernt, mit denen sich für mich neue Wege öffnen.“

Derartige Rückmeldungen hört man beim DAAD gerne. „Das bestätigt uns in unserem neuen Ansatz, die Alumni-Arbeit auch in Richtung Karriereförderung auszubauen“, sagt Heidi Wedel. „Damit können wir unsere bisherige Strategie sinnvoll und nachhaltig ergänzen. Gleichzeitig hat sich gezeigt, wie sehr unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Alumni den persönlichen Austausch schätzen und das Gefühl, gemeinsam etwas erreichen zu können. Insofern würden wir uns freuen, die Kooperation mit Falling Walls auch in diesem Bereich fortzuführen – Voraussetzung dafür ist, dass die Stiftung weiterhin entsprechende Mittel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erhält. Dazu finden derzeit Gespräche statt.“

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