Während der Corona-Pandemie im Ausland forschen

Während der Corona-Pandemie im Ausland forschen: Junge Frauen arbeiten am Laptop
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Dr. Sandra Fluhrer forscht mithilfe des der an der University of Berkeley. Im Interview mit Alumni-Redakteurin Rebecca Hahn schildert sie, warum sie trotz erschwerter Umstände während der Pandemie von dem Auslandsaufenthalt profitiert. 

Frau Dr. Fluhrer, Sie haben Deutschland Mitte Februar 2021 im tiefsten Corona-Chaos verlassen und forschen seither in den USA. Was war das für ein Gefühl bei der Ausreise?

Ursprünglich hatte ich vorgehabt, das im Oktober 2020 anzutreten. Wegen der Pandemie habe ich den Stipendienantritt auf Januar 2021 verschoben. Der aktuell etwas aufwändigere Visa-Prozess und der Lockdown in Deutschland, der mit einem stark eingeschränkten Betrieb der Botschaften und Konsulate einherging, hat dann alles nochmals um einige Wochen verzögert.

Zum Zeitpunkt meiner Ausreise war die Lage in Deutschland etwas besser als in den USA. Das öffentliche Leben, samt Universitäten und Bibliotheken, konnte auf längere Sicht an beiden Orten nur digital stattfinden. Als Literaturwissenschaftlerin kann ich glücklicherweise beinahe überall arbeiten, wo es Ruhe und einen Internetanschluss gibt. So hatte ich keine größere Sorge, dass es durch den Ortswechsel noch zu weiteren Einschnitten für meine Forschung kommen würde.

Nervenaufreibend war vor allem, dass ich lange nicht wusste, ob ich mein Visum rechtzeitig zum geplanten Abflugtermin erhalten würde. Eine weitere Verschiebung hätte mich vor einige Probleme gestellt. Die Höhe der Stipendienzahlung und auch die Krankenversicherung sind an die Ausreise gekoppelt und auch meine Wohnung in Deutschland hatte ich irgendwann fest zwischenvermietet. Am Ende ging alles glücklich aus und die Reise selbst verlief völlig unkompliziert.

Warum haben Sie sich entschieden, für Ihr Forschungsvorhaben nach Berkeley zu gehen?

Berkeley ist ein ganz besonderer Ort. Hier, im benachbarten Oakland und in San Francisco entstanden um 1960 mehrere große Freiheits- und Bürgerrechtsbewegungen. Etwas von diesem Geist ist hier seither spürbar, besonders an der , der University of California, einem aufgeweckten, vielgestaltigen und streitbaren Ort. Als ich vor einigen Jahren für eine Tagungsreise hierherkam, beeindruckte mich diese Atmosphäre sehr.

Konkret bin ich hier, um meine Habilitationsschrift zu Figuren der Verwandlung in Literatur und politischer Theorie abzuschließen. Für die Zusammenhänge von Politik, Mythos und ästhetischer Erfahrung, die ich dabei erforsche, bieten Berkeley und insbesondere das , an dem ich angesiedelt bin, ein sehr anregendes Umfeld. Gerade für die finale Schreibphase empfinde ich es als ungeheuer hilfreich, den akademischen Horizont nochmals zu erweitern und einen neuen Blick auf die Arbeit zu bekommen, die sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat.

Ein Grund für einen Forschungsaufenthalt im Ausland ist, das eigene internationale Netzwerk weiter auszubauen. Wie gelingt Ihnen das unter den derzeitigen Umständen?

Das kommt im Moment definitiv zu kurz. Auch wenn ich dankbar für die digitalen Werkzeuge bin, lässt sich für mich nur ein Bruchteil dessen digital auffangen, was intensiven akademischen Austausch ausmacht. Zu einem guten Gespräch gehört es für mich, einen Raum und eine Situation physisch zu teilen. Seit meiner Ankunft im Februar hat sich die Lage in Berkeley und in ganz Kalifornien aber deutlich verbessert. Es besteht also Hoffnung, dass es ab dem Sommer wieder mehr Gelegenheiten dafür gibt.

Haben Sie in Berkeley ein Zuhause fernab der Heimat gefunden? 

In der Pandemie steht und fällt Vieles mit der Wohnsituation, die ja zugleich ein guter Arbeitsort sein muss. Ich bewohne hier ein kleines Studio, das früher als Hausbibliothek und Praxisraum genutzt wurde. Die Besitzerin ist 1960 aus Deutschland ausgewandert, hat in den USA studiert, als Therapeutin gearbeitet und nicht zuletzt das politische und intellektuelle Leben der 1960er und 70er Jahre in den USA aufgesogen. Ich bin also – ganz und gar zufällig – in einem spannenden Haus gelandet. Und ich darf hier nicht nur von Büchern umgeben arbeiten, sondern sehe vom Schreibtisch aus auch noch direkt auf die Golden Gate Bridge.

Wie erleben die Menschen in Berkeley die Pandemie?  

Als ich im Februar ankam, waren die Fallzahlen noch verhältnismäßig hoch. Die Straßen und der Unicampus wirkten regelrecht ausgestorben. Auch im Freien herrschte in Kalifornien bis vor wenigen Wochen Maskenpflicht, an die sich in Berkeley nach meiner Erfahrung auch nahezu jeder gewissenhaft hielt – nicht zuletzt, weil die Maske in der Amtszeit von Donald Trump auch zu einem politischen Symbol geworden ist. Woche für Woche fallen nun aber die Zahlen, die Hälfte der Einwohner Berkeleys ist bereits vollständig geimpft.

Immer mehr öffentliches Leben kehrt zurück und der Alltag fühlt sich inzwischen deutlich weniger pandemisch an. Stellenweise wirkt Berkeley wie ein Paradies der Solidarität und Toleranz. Fast die ganze Stadt bekennt sich auf Pappaufstellern im Vorgarten, auf Fensterscheiben, Garagentoren oder Heckaufklebern zu Positionen der Neuen Linken und zollt den essential workers Respekt für ihren Einsatz in der Pandemie.

Die Schere zwischen Arm und Reich ist hier aber größer und nicht wenige dürften im vergangenen Jahr mit dem Überleben gekämpft haben. Auch im beschaulichen Berkeley leben viele Menschen auf der Straße oder in ihren Autos. Das Haus, in dem ich wohne, gibt immer wieder Wohnungslosen Obdach; ich kann also unmittelbar bezeugen, dass es hier eine gelebte Solidarität gibt. Ohne Zweifel stehen die USA aber vor großen Aufgaben, was ein gerechtes Zusammenleben betrifft. Ähnliches gilt natürlich für Deutschland und Europa.

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