Ich spreche, also bin ich? – Deutsche Sprache und Identität

Junge Menschen halten Sprechblasen hoch.
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Wie prägt unsere Sprache unser Denken, unsere Kultur, unsere Identität? Wie entwickelt sich umgekehrt durch die ständigen Veränderungen in unserer Lebenswelt auch unsere Sprache? Seit jeher befassen sich Sprachforscher mit dem Zusammenhang von Sprache und Identität und ihrem wechselseitigen Einfluss.

Philosophie und Wissenschaft setzen sich seit 3.000 Jahren mit dem Verhältnis von Denken und Sprache auseinander und versuchen zum Beispiel zu erforschen, ob das Sprechen sich aus dem Denken entwickelt hat oder umgekehrt. Einig sind sich die verschiedenen Theorien darüber, dass unsere Sprache, unsere Kultur und unsere Identität untrennbar miteinander verknüpft sind. Erst, wenn man sich mit Menschen unterhält, die eine andere Sprache sprechen, wird spürbar: Was und wie wir sind, als Individuen, als Generation, als Gruppe oder als Nation, wird in entscheidendem Maße von der Art und Weise mitbestimmt, wie wir uns mit Worten ausdrücken. Häufig entdeckt man nämlich Unterschiede im Sprachgebrauch, über die man noch nie nachgedacht hatte. Hier wird zugleich spürbar, dass sich über die Sprache hinaus oft auch die Denkweise und Identität des anderen von unserer eigenen unterscheiden.

Deutsche Sprache: Wörter und „Unwörter“ des Jahres

Im Zuge der Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und Identität werden seit einigen Jahren Wettbewerbe ausgerufen, in denen die Öffentlichkeit oder auch Expertenjurys das schönste deutsche Wort oder auch das „Unwort“ des Jahres ermitteln sollen. 2004 wurde der etwas altmodische Ausdruck „Habseligkeiten“ zum schönsten Wort des Jahres gewählt. Die Jurybegründung lautete, das Wort verbinde „den irdischen Besitz und die im irdischen Leben unerreichbare Seligkeit. Diese Spannung bringe den Leser des Wortes dazu, dem Besitzer der ‚Habseligkeiten‘ positive Gefühle entgegenzubringen. Die Liebe zu den kleinen, wertlosen Dingen werde als ‚Voraussetzung zum Glück‘ aufgefasst.“

Die sprachkritische Initiative, die das bestimmt, möchte unser Bewusstsein für den Umgang mit der deutschen Sprache und Identität schärfen und ihrem Verfall entgegenwirken. 2011 wurde der Ausdruck „Döner-Morde“, der eine Serie von Morden an türkischen Migranten durch Rechtsradikale bezeichnete, zum „Unwort“ gewählt. Der Ausdruck stehe dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder ignoriert wurde. Durch die Reduktion auf ein Imbissgericht würden die Opfer der Morde diskriminiert und ganze Bevölkerungsschichten aufgrund ihrer Herkunft ausgegrenzt, fand die Jury.

Sprachwandel durch gesellschaftlichen Wandel

Jede gesellschaftliche Entwicklung und Veränderung, jedes historische Ereignis schlägt sich in unserem Sprachgebrauch nieder. So ist es mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust unmöglich geworden, das deutsche Wort „Führer“ zu verwenden, ohne dass es negative Assoziationen hervorruft und sofort mit Adolf Hitler verknüpft wird.

Heute wird über den Zusammenhang von deutscher Sprache und Identität besonders häufig dann diskutiert, wenn ein Verfall der Sprache befürchtet wird – aus dem wiederum auch ein Verlust an eigener Identität resultieren könnte. So wird in Deutschland immer wieder über die vielen Anglizismen debattiert. Vor allem wird der häufige Gebrauch einer als bezeichneten Sprache kritisiert, die besonders durch das Internet starke Verbreitung gefunden hat. Wörter wie „downloaden“, „posten“ oder „liken“ sind aus dem Sprachgebrauch junger Deutscher nicht mehr wegzudenken, weil das Internet inklusive Facebook Bestandteile ihres Alltags geworden sind.

Kiezdeutsch als Jugendsprache

Auch der starke Einfluss von „Kiezdeutsch“ auf den Sprachgebrauch vieler junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund wird heute oft kontrovers diskutiert. Die inzwischen auch als „Ethnolekt“ bezeichnete Jugendsprache wird von manchen Sprachforschern aber weniger als Bedrohung, sondern als Bereicherung der deutschen Sprache und Identität empfunden.

Sprache als Heimat

Wie sehr deutsche Sprache und Identität zusammenhängen, lässt sich auch erkennen, wenn man sich mit Literatur und Biographien deutscher Exilanten befasst. Für viele deutsche Schriftsteller, die während des Dritten Reichs Deutschland verließen, wurde im Exil die deutsche Sprache zu einem absoluten Inbegriff ihres Selbstbewusstseins, an dem sie sich regelrecht festklammerten, da sie ihnen ein Stück Heimat in der Fremde bedeutete. In einem Gedicht, verfasst im amerikanischen Exil, schrieb die Dichterin Mascha Kaléko: „Gewiß, ich bin sehr happy: Doch glücklich bin ich nicht.“ Damit verlieh sie ihrer Liebe zur deutschen Sprache als einem wichtigen Teil ihrer Identität Ausdruck. Weil unsere Gesellschaft sich stetig verändert, wird sich auch unsere Sprache immer weiter verändern und dabei Bestandteil und Ausdruck unserer Identität bleiben. Spannend wäre es, wenn man herausfinden könnte, ob in einigen hundert Jahren Goethe und Schiller immer noch zum Kanon deutscher Literatur zählen und ob dann noch jemand denken wird, dass er vor einer Reise oder einem Umzug dringend seine „Habseligkeiten“ einpacken sollte.

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