Drei Fragen zu SDG 16 – Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
- 2020-09-29
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Wir sprachen mit Ulf Buermeyer, Präsident der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), über Gerechtigkeit, den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten und starke Institutionen in Deutschland. Ulf Buermeyer war etwa zehn Jahre lang als Richter in Strafprozessen am Landgericht Berlin sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin tätig. Neben seinem überzeugten Bekenntnis zur Macht des Verfassungsrechts und der Menschenrechtsgesetzgebung und seinem leidenschaftlichen Einsatz für die Stärkung des existierenden Rechtssystems interessiert er sich auch für Politik und moderiert den wöchentlichen Podcast „Lage der Nation“.
1014: Sind grundlegende Rechte und Freiheiten Ihrer Meinung nach in Deutschland ausreichend geschützt? Gibt es bestimmte Rechte, die womöglich der Aufmerksamkeit bedürfen? Besteht Bedarf an einer Stärkung der Rechtsstaatlichkeit?
Ulf Buermeyer: Im Allgemeinen ist der rechtliche Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten in Deutschland durchaus zufriedenstellend. Das hängt allerdings auch weitgehend vom Kontext und den praktischen Auswirkungen ab.
Um ein Beispiel zu nennen, obwohl das europäische Recht für Männer und Frauen, die dieselbe Arbeit ausführen, die gleiche Bezahlung garantiert – und bestimmte Rechtsschutzmaßnahmen vorsieht, um es Klägerinnen zu erleichtern, auf gleichen Lohn zu klagen –, haben deutsche Gerichte häufig dabei versagt, dieses Gesetz auf inländische Gleichbezahlungsfälle auch wirklich anzuwenden. Insbesondere haben deutsche Gerichte das vom europäischen Gesetz verlangte Rahmenwerk zur Beweislastumkehr nicht übernommen, bei dem es dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin zufällt, das Fehlen eines diskriminierenden Motivs zu demonstrieren, wenn eine Klägerin mindestens einen Kollegen nennen kann, der für dieselbe Arbeit mehr verdient. In unserem jüngsten Gleichbezahlungsfall unterstützten wir erfolgreich eine Journalistin, die ihren Arbeitgeber, den öffentlich-rechtlichen Sender ZDF, wegen geschlechtsbedingter Entgeltdiskriminierung verklagte.
Schließlich spielt das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende Rolle dabei, sicherzustellen, dass der verfassungsmäßige Schutz, den das deutsche Grundgesetz auf dem Papier gewährt, auch tatsächlich gewährt wird. Erstinstanzliche Gerichte unterscheiden sich in ihrer Bereitschaft, die Grundrechte zu respektieren: Während die meisten Fälle in Übereinstimmung mit der deutschen Verfassung entschieden werden, muss die GFF trotzdem regelmäßig Fälle auf Verfassungsebene ausfechten.
1014: Wie versuchen Sie sicherzustellen, dass grundlegende Rechte und Freiheiten in Deutschland geschützt werden? Was ist Ihre Strategie? Wer sind Ihre Partner:innen und wie arbeiten Sie zusammen?
Ulf Buermeyer: Die GFF arbeitet vorrangig mittels strategischer Prozessführung, um den Schutz unserer grundlegenden Rechte und Freiheiten in Deutschland sicherzustellen. Während dies in Deutschland (und Europa) ein relativ neues Konzept ist, ist es in den USA eine altbewährte Strategie, bei der Organisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) eine Vorreiterrolle einnahmen. Unser Ziel ist es, eine zukunftsfähige Plattform für strategische Prozessführung in Deutschland und der EU zu schaffen, und um das zu erreichen, identifizieren und unterstützen wir ideale Kläger:innen in Verfahren, die den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten stärken und fördern sollen. So taten wir uns kürzlich in einem Verfahren gegen den Bundesnachrichtendienst (BND), das deutsche Äquivalent der amerikanischen National Security Agency (NSA), mit „Reporter ohne Grenzen“ zusammen, um ein Gesetz anzufechten, das die Überwachung von Kommunikation zwischen nicht-deutschen Bürger:innen außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes erlaubte.
Wir gewannen den Fall und in seiner Grundsatzentscheidung kam das deutsche Verfassungsgericht zu dem Schluss, dass Grundrechte vor einem Eingriff seitens deutscher Behörden geschützt sind, unabhängig davon, wer sie geltend macht.
1014: Was würden Sie sich in einer idealen Welt im Hinblick auf die Erreichung des UN-Ziels von „Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen“ für Deutschland wünschen?
Ulf Buermeyer: Friedenssicherung, das erste dieser Ziele, ist Sache der Außenpolitik. Was Gerechtigkeit betrifft, konzentriert sich die GFF derzeit auf einige Fälle, die mit Gleichberechtigung zu tun haben. Wie es auch im amerikanischen Verfassungsrecht der Fall ist, liegt der Schwerpunkt unserer Bemühungen darauf, sicherzustellen, dass die verfassungsmäßigen Rechte jedes Einzelnen gleichermaßen geschützt sind.
Ich bin überzeugt, dass Gleichberechtigung eine Grundvoraussetzung für Gerechtigkeit ist, denn wie Martin Luther King es so treffend formulierte: „Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.“
Was starke Institutionen angeht, so ist unsere Hoffnung, sicherzustellen, dass unsere Institutionen, auch wenn sie stark sind, dennoch die Grundrechte respektieren. Ein gutes Beispiel ist der kürzliche Fall, der sich mit dem Bundesnachrichtendienst beschäftigt, in dem wir die Behauptung des BND anfochten, dieser habe das Recht, die private Kommunikation von Nichtbürger:innen im Ausland zu überwachen. Der BND, das deutsche Äquivalent der amerikanischen NSA, ist eine starke Institution, wir müssen jedoch trotzdem sicherstellen, dass seine Stärke ihm nicht erlaubt, die Grenzen der Grundrechte zu überschreiten.